Im Westen steht das Individuum im Mittelpunkt – im Islam das Kollektiv

Die Freiheitsforscherin Ulrike Ackermann über den Hass der Islamisten auf unsere Werte und antiwestliche Ressentiments in Europa

Heidelberg. Ulrike Ackermann ist Politik-Professorin mit dem Schwerpunkt Freiheitsforschung an der SRH Hochschule in Heidelberg und leitet das John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung.

Frau Professor Ackermann, woher kommt der Hass der Islamisten auf unsere westlichen Werte?

Dieser Hass auf den Westen lässt sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 beobachten und er hat sich seitdem noch gesteigert. Es geht um all die Errungenschaften der Moderne und um unsere freiheitliche Weise zu leben. Dazu zählen die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, die Freiheit, selbstbestimmt unsere Sexualität zu leben, Alkohol zu trinken, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Religionsfreiheit. Das sind alles Elemente, die den Hass der Islamisten hervorrufen. Nicht von ungefähr ist in dem Bekennerschreiben die Rede davon, dass Paris die Hauptstadt der Unzucht und des Lasters sei.

Was sind die entscheidenden Gegensätze zum Weltbild der Islamisten?

Es ist ein völlig konträres Weltbild. Im Westen steht das Individuum im Mittelpunkt, das in seinen Menschenrechten geschützt ist und eigenwillig seinen Weg geht. Im Islam ist das Kollektiv die wichtigste Größe, die sogenannte Ummah, also die Gemeinschaft der Gläubigen.

Was wollen die Terroristen erreichen?

Die Terroristen wollen auf jeden Fall die Trennung von Staat und Religion aufheben, die wir über Jahrhunderte erstritten haben. Sie wollen einen Gottesstaat errichten, in dem sich alle Menschen dem Willen Allahs unterwerfen. Der Islam ist eine Unterwerfungsreligion. Das ist ein erheblicher Unterschied zu anderen Religionen, auch zum Christentum. Bei Christen steht das Individuum im Zentrum und muss sich vor Gott verantworten. Im Islam ist es das Kollektiv.

Wo gelten die westlichen Werte?

Der Westen ist in diesem Fall kein geographischer sondern ein kultureller Begriff. Mit westlichen Werten sind die Werte gemeint, die in der Französischen Revolution von 1789 und in der amerikanischen Revolution von 1776 festgelegt wurden. Sie gelten somit im alten Westen, nämlich Europa, und im neuen Westen, also Amerika. Und sie sind in die Erklärung der allgemeinen Menschenrechte eingeflossen.

Wie weit reicht diese Wertegemeinschaft? Ist Russland ein Teil davon?

Nein, das sehe ich nicht. Wir hatten nach 1989 alle die Hoffnung, dass sich Russland nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in eine demokratische Richtung entwickeln würde. Leider beobachten wir das Gegenteil. Der russische Präsident Putin hat einen Berater namens Dugin, der ausdrücklich den „Dschihad gegen die liberalen Werte des Westens“ ausgerufen hat. Insofern sehe ich die westlichen Werte nicht nur durch den Islamismus bedroht. Auch Russlands neo-imperiale Politik und wie Putin nach innen regiert, wo er jegliche Opposition ausschaltet und Minderheitenrechte einschränkt, ist mit den westlichen Werten nicht in Einklang zu bringen.

Nehmen die antiwestlichen Ressentiments in Europa zu?

Ja, leider. Wenn eine Gesellschaft in die Krise gerät, erstarken die linken und die rechten Ränder. Ich beobachte mit großer Sorge, dass die antiwestlichen Ressentiments, auch verbunden mit Antiamerikanismus, in Europa zunehmen. Wir haben das in Deutschland etwa in Form der Pegida und der AfD am rechten Rand aber auch bei der Linken. Auch europaweit sind links- und rechtspopulistische Bewegungen auf dem Vormarsch. Angesichts dieser Bedrohungen ist es umso wichtiger, dass wir uns darüber klar werden, was das Herzstück unserer freiheitlichen Gesellschaft ist und was für uns nicht verhandelbar ist.

Welche Bedeutung haben die westlichen Werte für die Deutschen?

Die Deutschen begreifen sich ganz klar als dem Westen zugehörig. Und es gibt auch ein Bedrohungsbewusstsein: 40 Prozent der Befragten haben in unserem Freiheitsindex die Sorge geäußert, dass die westlichen Werte bedroht sind. Diese Umfrage wurde vor den Anschlägen von Paris durchgeführt, daher wäre dieser Wert heute vermutlich höher.

Wie groß ist die Bereitschaft der Deutschen, westliche Werte zu verteidigen?

Wir beobachten eine Zögerlichkeit, militärisch einzugreifen, die mit der deutschen Geschichte zusammenhängt. Da sehen wir einen großen Unterschied zu Frankreich, das auch in der Vergangenheit stärker militärisch interveniert hat.

Fürchten Sie, dass nach den Anschlägen von Paris die Sicherheit auf Kosten der Freiheit ausgebaut wird?

Ich hoffe, dass es darüber endlich eine breite gesellschaftliche Debatte geben wird. Dieses Thema ist ja bereits im Zuge der Flüchtlingskrise aufgekommen. Die Deutschen fühlen sich nicht sicher. Wir müssen natürlich unsere Grenzen schützen und die Kontrolle darüber behalten, wer hier reinkommt. Aber wir können keine totale Sicherheit in einem freiheitlichen Staat garantieren. Die Sicherheit muss aber groß genug sein, damit unsere Freiheiten geschützt werden.

Rhein Neckar Zeitung 18.11.2015