Verteidigen wir unsere Freiheitliche Ordnung, Ludwig Erhard Stiftung

https://www.ludwig-erhard.de/erhard-aktuell/standpunkt/verteidigen-wir-unsere-freiheitliche-ordnung/

Verteidigen wir unsere freiheitliche Ordnung!

Die über Jahrhunderte erkämpften Werte und Errungenschaften in westlichen Demokratien sind unter starken Druck geraten. Ulrike Ackermann fordert eine offensive Verteidigung der freiheitlichen politischen und wirtschaftlichen Ordnung.

Die bisherige westliche Weltordnung gründete in der Überzeugung: Demokratie, Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Marktwirtschaft befördern sowohl die gesellschaftliche als auch die individuelle Freiheit, sorgen für Wohlstand und Fortschritt für immer mehr Menschen. Deshalb sei es für alle von Nutzen und im Interesse des Westens, diese Normen und Prinzipien in die Welt zu tragen.

Unsere liberalen Werte gehen auf die Ideen der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 zurück und mündeten in der Erklärung der Menschenrechte. Es handelte sich lange Zeit um ein normatives, kulturelles, transatlantisches Projekt des alten und des neuen Westens. Es bleibt so lange unvollendet, so lange die Universalität der Menschenrechte nicht realisiert ist, betont der Historiker Heinrich August Winkler in seiner „Geschichte des Westens“.

Diese westliche Ordnung samt ihrer normativen Ansprüche begründet eine lange Erfolgsgeschichte, die uns den bisher anspruchsvollsten Lebensstil sowie größten Freiheits- und Wohlstandsgewinn beschert hat. Doch mittlerweile haben wir uns seit einigen Jahren daran gewöhnt, dass diese über Jahrhunderte hart erkämpften freiheitlichen Errungenschaften, die uns selbstverständlich erschienen, von unterschiedlichen Seiten, von außen und innen unter starken Druck geraten sind.

Freiheitliche Werte unter Druck

Der Islamismus, der gegen den Westen ideologisch und militärisch wütet, die neoimperiale Politik Wladimir Putins, Chinas ökonomischer und politischer Eroberungsfeldzug, Erdogans islamistische Präsidialdiktatur, der Krieg in Syrien und der weltweite Migrationsdruck fordern den Westen und sein Selbstverständnis immens heraus.

Ausgerechnet in Ostmitteleuropa, den Siegern der friedlichen Revolutionen 1989, breitet sich ein neuer Autoritarismus aus. Und US-Präsident Donald Trump demontiert die bisher geltende Weltordnung weiter mit seiner antiwestlichen, protektionistischen und chaotisch widersprüchlichen Politik. Zwischen ehemaligen Verbündeten zettelt er Handelskriege an, propagiert mit seiner America-first-Politik den Nationalismus anstelle von Freihandel und kündigt Verträge und Vereinbarungen. Über ehemals bilaterale oder multilaterale Kooperationen obsiegt der Unilateralismus.

Auch geopolitisch ziehen sich die USA zurück. Im Syrienkrieg haben die Amerikaner ein Vakuum hinterlassen, in das Moskau eingetaucht ist, seinen Einfluss ungestört ausbaut und China es gewähren lässt. Beide Mächte demonstrieren inzwischen sehr selbstbewusst, wie man die Durchsetzung westlicher Werte aufhalten kann: Mit ihren Aktivitäten zeigen diese „game changers“, wie sich das vormals bestehende internationale System bereits verändert hat – die alte westliche geopolitische Ordnung ist in Auflösung begriffen.

Doch die freiheitliche Ordnung und ihre Werte geraten auch von innen unter Druck: Rechts und linkspopulistische Parteien und Bewegungen in ganz Europa schüren mit Globalisierungs- und Kapitalismuskritik sowie Fremdenfeindlichkeit Zweifel an den Errungenschaften der westlichen Zivilisation, die bis in die Mitte der Gesellschaft reichen. Linke wie rechte Populisten hegen starkes Misstrauen gegenüber der parlamentarisch repräsentativen Demokratie, schüren den Wunsch nach unmittelbarer Volksherrschaft und revoltieren gegen das sogenannte Establishment.

Postliberalismus macht sich breit

Gemeinsam sind ihnen antiwestliche Ressentiments: die Skepsis gegenüber der Globalisierung, Antikapitalismus, EU-Verachtung und Putin-Verehrung. Der Wunsch nach starker Führung und einer harten Hand wird lauter in Europa. Den Individualismus prangern sie als westlich dekadente Fehlentwicklung an und feiern stattdessen die Gemeinschaft. Das Heil liegt für sie in kollektiven Identitäten.

Volksparteien verlieren an Boden, werden überall abgewählt und zerfallen. Dieser große Vertrauensverlust trifft nicht nur das politische Personal. Der Elitenhass ist verbunden mit wachsendem Misstrauen gegenüber gesellschaftlichen Leistungsträgern und den Funktionseliten insgesamt: Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien. Die um sich greifenden westlichen Selbstzweifel machen sich nicht nur an den Rändern links und rechts sowie in der politischen Mitte der Gesellschaft breit, sondern haben inzwischen auch die Funktionseliten erreicht: Nicht nur Islamisten oder Wladimir Putin geißeln die „westliche Dekadenz“, auch in Wirtschafts- und Intellektuellenkreisen ist die Rede von „Postliberalismus“ und „Postdemokratie“.

Möglicherweise stärken auch Wirtschaftsführer nicht unbedingt das Vertrauen in die Marktwirtschaft und die mit ihr verknüpfte liberale Ordnung, wenn sie wie etwa Dieter Zetsche gegenüber China buckeln oder wie kürzlich Jo Kaeser ebenso vor Russland, und sich gleichzeitig Trump anbiedern. Offensichtlich gab es auch keine Probleme, mit dem Schurkenstaat Saudi-Arabien weiterhin Geschäfte zu betreiben, mag er noch so bestialisch unliebsame Bürger abschlachten – es ging schließlich um ein 20-Milliarden-Geschäft.

Mit Diktaturen gute Geschäftsbeziehungen zu pflegen, wird immer weniger anstößig. Immerhin geht dort alles schneller, reibungsloser, und man beschreitet direkte Wege im Rahmen staatlicher Industriepolitik beziehungsweise eines Staatskapitalismus. Natürlich müssen wir mit China und Russland reden, obwohl es Diktaturen sind, sie einen Cyber-Krieg gegen uns führen, Völkerrecht brechen und Menschenrechte missachten sowie ihren Einfluss aggressiv und hegemonial ausbreiten. Wir sollten uns jedoch davor hüten, Abhängigkeiten zuzulassen, und diese stattdessen abbauen.

Ist es etwa schon Protektionismus, vor wachsendem ökonomischem Einfluss Chinas und Russlands zu warnen oder Übernahmen und den Einstieg in Unternehmen zu begrenzen? Wenngleich bekanntlich die Wirtschaft längst keine Deutschland AG mehr ist: Es gibt inzwischen viele ausländische Anteilseigner und Aktienmehrheiten von Akteuren, für die freiheitliche Werte und Menschenrechtsstandards nichts oder wenig zählen. Nun umgekehrt darauf mit einer staatlichen deutschen Industriepolitik zu antworten, wäre allerdings widersinnig und kontraproduktiv.

Demokratie und Marktwirtschaft

Der amerikanische Politologe Joseph Nye hebt hervor, dass eine globale Ordnung langfristig nur funktioniert, wenn sie Folgendes gewährleistet: weithin akzeptierte Regeln in den Feldern Wirtschaft und Sicherheit, Bereitstellung globaler öffentlicher Güter (zum Beispiel die Freiheit der Navigation auf den Meeren) und nicht zuletzt gemeinsame, integrationsfähige Werte.

Auch wenn die Freiheit in den letzten Jahren gelitten hat, die Europäische Union und die sie tragenden Demokratien offensichtlich in einer tiefen Krise stecken, autoritäre Führer an Boden gewinnen, ändert dies nichts am grundlegenden Bedingungsverhältnis zwischen politischer, wirtschaftlicher und individueller Freiheit, das heißt zwischen Demokratie, Rechtsstaat, Marktwirtschaft und der Pluralität der Lebensstile, die nach wie vor wegweisend für langfristige Stabilität, Frieden, Wohlstand und Fortschritt sind.

Es besteht ein funktionaler Zusammenhang zwischen rechtsstaatlicher Demokratie und Marktwirtschaft – nicht nur historisch als Erfolgsgeschichte des Westens. Alle weltweiten Indices zeigen eine hohe Korrelation zwischen beidem. Die Gruppe der Demokratien ist mit Blick auf den wirtschaftlichen Entwicklungsstand, auf Ressourceneffizienz, Konsensbildung und internationale Kooperation den Autokratien weit überlegen.

Umso dringlicher ist heute eine offensive Verteidigung unserer freiheitlichen politischen und wirtschaftlichen Ordnung – das eine funktioniert langfristig nicht ohne das andere. Und dies ist keine moralisierende Gesinnungsethik, sondern eine realistische Verantwortungsethik.

Die Politikwissenschaftlerin und Soziologin Prof. Dr. Ulrike Ackermann gründete im Jahr 2009 das John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung und ist seitdem dessen Direktorin.