Bewegung wird zur „Religion“: Warum wir anders über den Klimaschutz reden sollten, Focus-Online

FOCUS-Online-Redakteurin

Dienstag, 10.09.2019, 12:40

Ob „Fridays for Future“, CO2-Steuer oder Dieselverbot – die Diskussion über Klimaschutz polarisiert Deutschland und wird oft moralisch geführt. Das zeigte sich auch bei der Debatte um einen tödlichen Unfall in Berlin mit einem SUV. Politologin Ulrike Ackermann warnt im Interview mit FOCUS Online vor religiösem Kult in der Klimafrage und erklärt, warum uns nur eine vernünftige Debatte weiterbringt.

FOCUS Online: Wie empfinden Sie die derzeitige Debatte über den Klimaschutz?

Ulrike Ackermann: Die Debatte ist hysterisch und wird mit Alarmismus geführt. Wir sind uns alle darüber einig, dass die Klimarettung wichtig ist und der Klimawandel bedrohliche Züge angenommen hat. Umso wichtiger ist es, dass wir mit kühlem Kopf den Problemen entgegentreten.

FOCUS Online: Was meinen Sie genau mit „kühlem Kopf“?

Ackermann: Sachlich und in Ruhe, mit naturwissenschaftlichen Fakten. Klimarettung kommt mittlerweile wie eine neue Heilslehre daher, fast wie eine Religion. Es hat beängstigende Züge angenommen, wenn dauernd vom drohenden Weltuntergang die Rede ist. Das ist so nicht zielführend.

Der Klimaschutz wird über alles gestellt. Der Kult um Greta Thunberg ist zu einer Art Heiligen-Verehrung geworden. Veganer treten geradezu militant auf und predigen, dass der Verzicht auf Fleisch unsere Welt rettet.

Polarisierung in der Klima-Debatte

FOCUS Online: Wieso ist es problematisch, dass die Bewegung religiöse Züge angenommen hat?

Ackermann: Weil die Fakten aus dem Blick geraten und die Aktivisten als radikale Retter der Welt auftreten. Wir müssen versuchen, sachlich zu reden und nicht zu moralisieren. Die Polarisierung in dieser Debatte hängt damit zusammen, dass sie nicht mehr sachlich ist.

Wissenschaftler, die sich dieser aufgeheizten Stimmung entgegenstellen, werden als sogenannte „Klimaleugner“ und „Klimaskeptiker“ stigmatisiert. Das ist unredlich. Für den Klimawandel wird vor allem der Kapitalismus und unsere westliche Lebensweise, die Ausbeutung der Dritten Welt verantwortlich gemacht. Aber unser Wirtschaftssystem hat den Lebensstandard weltweit verbessert. Auch wenn der Umgang mit unserem Planenten teils unverantwortlich gewesen ist.

Die Welt ist komplizierter und hat heute ein paar mehr Probleme. Selbst wenn wir das Klima auf einen Schlag reparieren könnten, entsteht nicht plötzlich ein Paradies auf Erden. Ungerechtigkeiten oder Kriege wird es auch dann noch geben. Ich will den Klimaschutz nicht kleinreden. Aber wir sollten eine vernünftige Debatte darüber führen.

Ein Jahr nach Beginn des Klimaprotests von Greta Thunberg

Michael Kappeler/dpa

FOCUS Online: Trotzdem haben Bewegungen wie „Fridays for Future” den Klimaschutz auf die politische Agenda gehoben und viele Menschen zum Umdenken bewegt. Was halten Sie davon?

Ackermann: Ich finde es sehr legitim, dass junge Menschen auf die Straße gehen und demonstrieren – vor allem, wenn sie besorgt über die Zukunft sind. Dass zeigt auch, dass die Politik viel verschlafen hat. Die Volksparteien haben die Jugend verloren.

Jedoch sollte auch bei diesen Demonstrationen nicht die Hysterie die Oberhand gewinnen. Es gibt keine Absolution und der Klimaschutz ist nicht das Allheilmittel. Es sollte noch auf mehr Aspekte aufmerksam gemacht werden.

Menschen zu Eigenverantwortung befähigen

FOCUS Online: Wie müsste die Debatte um Klimaschutz Ihrer Meinung nach geführt werden?

Ackermann: Ich finde es klüger, wenn Menschen als Erwachsene wahrgenommen werden. Sie müssen dazu befähigt werden Eigenverantwortung zu übernehmen. Die Menschen fahren weniger Auto, gehen bereits bewusster mit Plastik um oder achten auf Recycling. Das sind alles Aktivitäten, die in die richtige Richtung gehen. Die Menschen sind nicht so unvernünftig, wie sie immer dargestellt werden.

Ich finde die Politik am besten, die die Selbsttätigkeit und die Selbstverantwortung der Bürger stärkt.

Anreize statt Verbote

FOCUS Online: Welche Maßnahmen schlagen Sie daher vor?

Ackermann: Keine Verbote, sondern Anreize. Wenn die Bahn wesentlich teurer ist, als ein Flugzeug nach Berlin, dann schafft das keinen Anreiz mit der Bahn zu fahren. Das ist eine Preispolitik, auf die Einfluss genommen werden könnte.

Das funktioniert beispielsweise in Wien. Dort ist das Ticket für den öffentlichen Nahverkehr so günstig, dass viele Bürger auf ihr Auto in der Stadt verzichten.

Die Maßnahmen sollten gut durchdacht und abgewogen werden. Es gibt nicht nur eine kluge Lösung, gut gemeint ist nicht immer das Beste. Mit vorschnellen Maßnahmen erreichen wir wenig.

FOCUS Online: Welche Maßnahmen meinen Sie genau?

Ackermann: Das Plastiktüten-Verbot ist für mich beispielsweise reine Symbolpolitik. Wir bereinigen damit unser Gewissen und der Staat kann sich diese Maßnahme auf die Fahne schreiben. Jedoch kritisieren selbst Umweltschützer diese Maßnahme, weil sie nur wenig bewirkt.

Plastiktüten-Verbot

Das Bundesumweltministerium hat ein Verbot für Plastiktüten an der Ladenkasse auf den Weg gebracht. Es geht dabei um sogenannte leichte Kunststofftragetaschen, die ganz leichten Tütchen etwa für Obst und Gemüse sowie besonders stabile Modelle sind nicht betroffen. In Deutschland würden pro Jahr und Kopf noch rund 20 dieser Tüten verbraucht, heißt es im Entwurf von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD)

Der Handelsverband HDE hatte das geplante Verbot bereits kritisiert. Auch Umweltverbände sehen es mit gemischten Gefühlen – denn ihnen geht es nicht weit genug. Papiertüten etwa sind zwar in der Umwelt leichter abbaubar, haben sonst aber keine bessere Ökobilanz als Plastik, wie der Nabu betonte. Er fordert eine gesetzliche Abgabe auf alle Einwegtaschen. Selbst ein Sprecher des Bundesumweltministeriums hatte noch im Frühjahr gesagt, bei den Plastiktüten gehe es „im Grunde genommen um Peanuts“: Sie machten weniger als ein Prozent des Verpackungsaufkommens aus Kunststoff aus. (dpa)

Ein anderes Beispiel ist der abrupte Ausstieg Deutschlands aus der Atomenergie. Das Land will als eine Art Musterschüler vorangehen. Doch der schnelle Ausstieg hat dazu geführt, dass wir schmutzigen Strom aus Nachbarländern einkaufen müssen. Das ist für mich verlogen.

Übrigens hatte sich auch Greta Thunberg zum Atomstrom geäußert und gesagt, dass dieser viel weniger klimaschädlich ist als andere Energiequellen. Wir müssen die Maßnahmen, die wir ergreifen, noch besser hinterfragen. Denn wir haben es bei der Debatte immer mit Ambivalenzen zu tun. Es gibt nicht eine Linie, einen Handlungsstrang. Es gibt immer Wechselwirkungen, die bedacht werden sollten – wie bei der Atomenergie.

Klimaschutz und Freiheit

FOCUS Online: Wie passen unsere freie Wirtschaft und Klimaschutz zusammen?

Ackermann: Natürlich muss auch die Wirtschaft verantwortungsvoll handeln, denn die Ressourcen unserer Erde sind endlich. Wir haben nur einen Planeten. Und umwelt- beziehungsweise klimaverträgliches Wirtschaften spricht sich auch dort herum. Immer nur auf die Politik zu setzen, wäre fatal.

FOCUS Online: Eine abschließende Frage. Muss ich in der Debatte um Klimaschutz um meine persönliche Freiheit fürchten?

Wenn der Staat nur mit Zwang und Verboten auf die Klimakrise reagiert, ja. Ich denke, die Bürger sind inzwischen erwachsen geworden und wissen, dass sie ihre Umwelt und ihre Freiheit auch selbst schützen müssen.